Hans Sonntag - Gendarm in Bingerbrück
In liebevoller Erinnerung an meine Eltern: Hans Sonntag, geb. 17.10.1914 in Essen, verstorben 18. Oktober 1980 in Bingerbrück Gertrud Sonntag geborene Steinke, geb. 14.04.1916 in Essen, verstorben 17. Juli 2008 in Bingen
Meine Kindheitserinnerungen Mein Vater Hans Sonntag kam ursprünglich aus dem Ruhrgebiet, aus Essen, meine Mutter aus Mülheim an der Ruhr; klingt "weiter entfernt", aber die beiden trennte nur eine Wiese und ein Bach. Der Vater freite erfolgreich, die zwei heirateten und man zog nach Berlin, denn dort war er stationiert.
Papa als Soldat und das junge Paar in Berlin mit ihrem Erstgeborenen, meinem Bruder Klaus (geb.1939 in Berlin) Es folgten Bruder Reiner 1942, meine Schwester Dagmar 1952 und ich 1950.
Nach dem unseligen Krieg (Berliner Wohnung ausgebombt, alles verloren, Mutter auf der Straße mit beiden Brüdern an der Hand; Papa Kriegsgefangener im Lager Bretzenheim bei Bad Kreuznach) trafen sich die vier nach dem Krieg in Bingerbrück: man hatte Vater nach dem Krieg die Stelle als Polizist angeboten und Mutter zog mit den Brüdern (von Berlin über das Ruhrgebiet) auch nach Bingerbrück. So landeten wir hier! Dagmar und ich wurden hier geboren. Unser neues Zuhause war eine Wohnung in der “alten Schule”, Drususstraße 6.
Miniaturenansichten werden durch Anklicken vergrößert!
Unfall an der evangelischen Kirche - vermutlich 50er Jahre
Unfall Ecke Koblenzer-/Schlossstraße 50er Jahre
Mein Vater war später Leiter der Gendarmerie der bis zum Jahre 1969 selbständigen Gemeinde Bingerbrück, die damals zum Kreis Bad Kreuznach gehörte. Anfänglich per pedes, dann mit Fahrrad, später mit Motorrad und - Luxus pur - in den späten 1950ern mit einem VW-Käfer ging der Papa auf Ganovenjagd! Wenn er mit einem dieser Gefährte - Motorrad mit Beiwagen oder VW - in den Hof einfuhr, haben meine Schwester und ich ihn schon freudig erwartet, denn er fuhr mit uns immer noch zwei Runden im Hof, bis der Wagen im Schuppen im Hof untergestellt wurde.
Unfall Ecke Stromberger-/Koblenzerstraße 1955
Betreut wurde nicht nur Bingerbrück, auch die umliegenden Gemeinden Münster-Sarmsheim, Weiler, Waldalgesheim, Rümmelsheim, Genheim etc. gehörten zum Einsatzgebiet. Ob ein Bauer ein Schwein als gestohlen meldete oder einem Winzer Trauben geklaut wurden.... von kleinen Delikten bis den richtig "großen" Fällen, von Unfällen und Diebstählen, von Selbstmorden bis zu Morden... all das fiel in den Zuständigkeitsbereich der Gendarmerie.
Ich erinnere mich, dass Papa am Wochenende im Einsatz war. Im Sommer kontrollierte er manchmal am Rhein die Angler. Meine Schwester Dagmar und ich liefen an seiner Hand die "Kribben" (Kribben: dazu gibt es eine Fotogalerie!) entlang und wurden Zeuge seiner Aufforderung:" Zeigen Sie mir bitte Ihren Angelschein!"
Wenn wir in unseren weißen Kommunionkleidchen bei der Fronleichnamsprozession mitliefen und Rosenblätter und Holunderblüten streuten, stand Papa am Straßenrand in seiner grünen Uniform, mit weißen Handschuhen. Er "salutierte", als der Priester mit der Monstranz vorbeischritt. Wir waren sehr stolz auf ihn!
Unfall Koblenzer Straße Anfang 50er Jahre (an der Stelle etwa, wo sich heute Gaststätte PAK und links Metzgerei Martin befinden)
Die Drususstraße in den 50er Jahren - rechts die alte Schule, in der wir wohnten
Die alte Schule - abgerissen 1959 wegen des Baus der B9
Die "Gendarmerie" war in unserer Wohnung in der Drususstraße 6 (Parterre in der “alten Schule”) untergebracht..Zur Wohnung selbst ging man rechts in den Hof; dann links um das Haus herum. Es gab in diesem Teil drei Wohnungen: unsere im Parterre (Gendarmerie), dann die Wohnung des Hausmeisters der Schule und die von Frau Quint.
Die Stelle nach dem Abriss des Gebäudes 1959. Heute befindet sich dort ein großer Parkplatz.
Zunächst war unser Wohnzimmer "Gendarmeriestation": die Brüder erinnern sich, dass der Zutritt strengstens verboten war! Jeden Samstag durften sie die Sirene betätigen - punkt 12 Uhr! Um dieses Privileg stritten sie heftig, so erzählte es mir Bruder Klaus.
Links: Meine Brüder im zerstörten Nachkriegs-Bingerbrück als "Wölflinge" (Pfadfinder) in der Gutenbergstraße gegenüber des alten Kindergartens rechts: Eltern und Tante Änne (Dreiergruppe links) auf dem Weg zur Kirche/Kommunion Reiner 1951/ 52
Später wurde die Gendarmerie ausgelagert - irgendwo in ein anderes Gebäude; jedenfalls war der Raum irgendwann dann doch unser Wohnzimmer. Ich erinnere mich an ein schwarzes Telefon auf einem großen, dunklen Schreibtisch* im Flur, im Winter ungeheizt wie alle Räume außer der Küche. Der Ofen im Wohnzimmer wurde nur für das Weihnachtsfest beheizt.
*Unter besagtem Schreibtisch sollte meine Schildkröte Moritz überwintern... sie schaffte es nicht! Nach einer feierlichen Beerdigung gruben die Brüder heimlich den Panzer wieder aus und bastelten daraus einen Aschenbecher. Heute schmunzele ich darüber, aber damals... Wenn wir Geschwister uns am Telefon (Rufnummer 3065) meldeten, wenn Vater nicht da war, sagten wir: "Gendarmeriestation Bingerbrück - Sonntag junior". Das kann ich heute noch im Schlaf vor mich hin beten. Wir fühlten uns natürlich sehr wichtig dabei! Das Telefon klingelte Tag und Nacht, auch an der Tür klingelte es oft: Bürger mit diversen Anliegen, sog. Tippelbrüder und Unfallopfer (die sogar teilweise bei uns nächtigten). Eine aufregende Zeit für uns, für die Eltern eine sehr aufreibende.
Zeitungsartikel der 50er Jahre: Unfälle, Diebstähle, Brände : die ganze Bandbreite menschlicher Unzulänglichkeiten und Tragödien (anklicken zum Vergrößern!)
Nach dem Abriss der alten Schule 1959 zogen wir samt Gendarmeriestation zum Marktplatz 1 (heute Venarey-Les-Laumes-Platz). Dort gab es, als kleinen Vorbau vor dem Sechsfamilienhaus, die neue Gendarmerie! Zwei kleine Räume, besetzt mit zwei bis drei Beamten. Ich erinnere mich an die Herren Kerner aus Bingerbrück, Heßlinger aus Weiler, Zimmermann und Stenzhorn aus Münster-Sarmsheim. Später kam noch Gendarm Schätzl dazu. Gendarm Geiß aus Waldalgesheim wurde kurz nach dem Umzug pensioniert und ist in meiner Erinnerung nicht mehr ganz so präsent bis auf eine Ausnahme* (siehe unten). Gendarm Ludwig aus Bingerbrück hatte wohl auch ein eher kurzes Gastspiel...
*Ich erinnere mich noch heute sehr lebhaft an diesen Vorfall, der mit dem Gendarmen Geiß zu tun hatte: Herr Geiß ging vom Büro über die Koblenzer Straße zum damaligen Edeka-Geschäft, Anfang der 60er Jahre betrieben von der Familie Kieser (heute Versicherung, davor Elektrogeschäft Laloi, neben Sparkasse). Genau an der Telefonzelle war der Zebrastreifen. Unsere zahme Taube ERPEL( “er” war ein Weibchen!) folgte ihm, weil sie glaubte , er sei mein Vater . Erpel liebte meinen Vater und wurde schier verrückt, wenn sie eine grüne Uniform sah. Herr Geiß sah die Taube, reagierte aber nicht (Warum auch? "Vögel fliegen doch weg, wenn ein Auto kommt!") und so stolzierte ERPEL hinter dem vermeintlichen "Papa" her über den Zebrastreifen. Ein LKW kam - der Rest ist traurige Geschichte. Ich habe das dem armen Herrn Geiß lange Zeit nicht verziehen und sehr lange getrauert.
Im Hof waren gab es zwei Zellen, die von uns "Bullesjer" genannt wurden. Dort wurde so mancher schräge Vogel in Gewahrsam gehalten, bis er am folgenden Tag nach Bad Kreuznach überführt wurde. Auch so mancher "Suffkopp" wurde hier zwecks Ausnüchterung eingesperrt. Alle Erinnerungen aufzuschreiben würde zu weit führen.
Unfall Koblenzer Straße 1955 (aus den Gendarmerie-Akten) (Man beachte die Bäume!! Heute ist die Straße kahl und an vielen Stellen unansehnlich!)
Aktion auf der B9 1966: Papa mit "Kelle" hinten links, vor ihm Gendarm Zimmermann
24. Juli 1956: Papa im Einsatz an der Drususbrücke und im Juni 1965 (Vergrößerung durch Anklicken!)
Papa in Uniform stolz vorneweg.... 1967 (entdeckt in Ausstellung Stadtbibliothek "Bingens Partnerstädte" 17.09.06)
Vater als Ausbilder beim Deutschen Roten Kreuz. Er leitete über Jahre hinweg Kurse in Erster Hilfe.
Im Jahre 1969 kam Bingerbrück zu Bingen und mein Vater zur Kripo. Neue Wirkungsstätte: das Polizeiamt in der Rochusallee. Seine Jahre nach der Pensionierung konnte er nicht mehr lange genießen. Er starb viel zu früh im Alter von 66 Jahren. Am Tage vor seinem Tod hatten wir mit der ganzen Familie seinen 66. Geburtstag gefeiert - in der Nachschau war es wie ein Abschiedsfest! Mein Bruder Klaus, der heute in der Nähe von Aachen lebt, schrieb die Geschichte meines Vaters und der Gendarmerie auch schon nieder auf Basis der Notizen meines Vaters. Der Bericht erschien in zwei Teilen in Heft 13 und 14 der Mitgliederzeitschrift des Heimatvereins Bingerbrück im Jahre 2001. Link zu einem Bericht meines Bruders Klaus, veröffentlicht in der Zeitschrift des Heimatvereins Bingen-Bingerbrück
|